„Die Zukunft kann auch sexy sein.“
Thomas Darchinger ist quasi der Lieblingsbösewicht des deutschen Fernsehens. Dutzenden Charakteren hat er dabei das Böse eingehaucht. Sein Geheimnis? Wertfrei sein. Ganz anders handhabt der Adolf-Grimme-Preis-Träger das im echten Leben. Dort gilt er nämlich als Kämpfer für die Demokratie und gegen Alibis und Vorurteile. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen und auch über form.bar. Wieso? Das findet ihr am besten selbst heraus, in unserem aktuellen Interview.
Foto: BR/Sappralot Productions GmbH/Hendrik Heiden
Herr Darchinger, sind Sie eigentlich gerne der Böse?
Eigentlich nicht. (lacht)
Dafür schlüpfen Sie ziemlich oft in die Rolle des Bösewichts? Sie haben in über 150 Produktionen
gespielt, in jede dritten Rolle waren Sie ein fieser Schurke. Auch im aktuellen Münchner Tatort
„Wunderkind“ spielen Sie einen inhaftierten und äußerst brutalen Neonazi.
Ja, bei dem Typ muss man einfach feststellen, dass die Resozialisierung nicht
funktioniert hat. (lacht wieder). Mich interessiert der Mensch als Ganzes. In seiner Komplexität -
mit all seinen Besonderheiten und Abgründen, dieses Dunkel in uns allen.
Das klingt jetzt etwas deprimierend?
Ja, aber als Schauspieler ist das faszinierend. Ich darf ja auch völlig wertfrei
rangehen. Ich finde: Wir werden alle als gute Menschen geboren. Doch irgendwas macht das
Leben mit einigen, dass sie vom Weg abkommen. Was das genau ist und wie und warum bei
manchen Menschen dann wirklich ein Schalter umgelegt wird, das zu erspüren und heraus zu
kitzeln, finde ich spannend.
„Das macht wahnsinnig Spaß. Auch wenn man den Bösen spielt.“
Ihnen liegen diese Rollen: Als Tatort-Nazi Heiner Berger hasst man Sie schon nach wenigen
Minuten wirklich abgrundtief, was als Kompliment zu verstehen ist.
Danke. Wie gesagt, meine Aufgabe als Schauspieler ist, Figuren ohne Wertung
lebendig zu machen. Und in Deutschland sind das nun mal meistens Bösewichte. Deutschland ist
einfach ein Krimiland. Lange waren die Rollen der Bösewichte auch die Spannendsten. Ich hatte
das Glück, früh viele solcher Rollen zu bekommen. Und so war ich in der Rolle gesetzt und konnte
auch zu dem bekannten TV-Bösewicht heranwachsen, der ich heute bin. Schauspielerisch ein
Gütesiegel, weil es eben oft die komplexeren Charaktere sind, die ich spielen darf. Aber privat
nicht immer nur einfach. Fremde verwechseln manchmal Mensch und Rolle.
Wie gehen Sie so eine Rolle an?
Das Text lernen kommt ganz zum Schluß, das ist die Fleißarbeit, die ich erst mache,
wenn ich genau weiß, was ich wann, wie spielen möchte. Also ich taste mich erst heran. Dabei
interessiert mich ausschließlich, was spannend also unterhaltsam sein könnte. Und ich persönlich
finde es eben am Spannendsten, wenn man sich eben nicht erwartbar, logisch, kurz langweilig
verhält. Meine Figuren sollen überraschend sein. Und dadurch näher dran an der Vielschichtigkeit
des Menschen, des Lebens als Ganzem. Im Idealfall auch immer mit einer guten Prise Humor
gemischt. Ich gehe gut vorbereitet ans Set. Und dann kommt der spannende Prozess, dass man
alles was man sich erarbeitet und gedacht hat, nur als Material sieht und sich komplett auf das
einläßt, was real da ist. Weil am Set ist man in einem Kostüm, das einen verändert, da ist der
Raum, der was mit einem macht, das Licht, die ganze Atmosphäre und natürlich die Kolleg*innen
mit denen man spielt. Die Rollenvorbereitung versetzt mich in die Lage, ganz im Moment zu sein,
wenn ich drehe. Das ist wie bei Profifußballern, wenn die auf dem Platz stehen. Du hast ewig lang
Pass spielen, Ballannahme, Dribbeln, Abschlüsse und taktische Abläufe geübt. Und dann gehst Du
raus auf den Platz und Du weißt: Ja, ich kann das alles, aber jetzt schalte ich den Kopf aus und
mache einfach. So wie es der Kaiser mal formuliert hat. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“ Genau
so muß es sein. Dann macht der Beruf auch wahnsinnig Spaß. Auch wenn man den Bösen spielt.
Das Böse ist Teil von uns. Und Verdrängung war schon immer schlecht. Man muß es sich
anschauen. Aber eben nicht auf eine Belehrende, sondern auf eine unterhaltsame Art. Das sehe
ich als meinen Job.
Foto: BR/Sappralot Productions GmbH/Hendrik Heiden
Empfinden Sie das im echten Leben auch so?
Durchaus! Auf der einen Seite ist das Böse ganz offensichtlich vorhanden, diese Wut,
die viele Menschen in sich tragen. In Deutschland erleben wir ja gerade eine starke Wutbewegung.
Leider sitzt man da gerne Populisten auf, die die Schuld plump den handelnden Personen zu
schieben. Durch meine Demokratiekampagne komme ich immer wieder mit Politiker*innen
zusammen, erlebe, wie unzufrieden sie mit ihren Handlungsmöglichkeiten sind. Wie sehr sie gerne
mehr machen würden, aber ihre Handlungsspielräume erlauben es ihnen nicht. Diese Spielräume
sind oft sehr viel kleiner, als man am Stammtisch gemeinhin plakativ denkt. Und dazu kommt: Die
Welt ist komplex. Und es ist manchmal auch schwierig, diese Komplexität innerlich auszuhalten.
Weil sie eben oft auch mit sich bringt, dass Dinge zäh vorangehen, dass Probleme nur
unbefriedigend gelöst werden können. Dann werden die Leute sauer, die das nicht gut aushalten
können und sie lassen sich vor Allem auch gerne in ihrer Wut bestätigen. Und wenn das dann
ausreichend passiert, schaukelt sich diese Wut immer mehr hoch, bestätigt sich dadurch
sozusagen selbst und wird gefährlich, weil dann Dinge eskalieren können. Ganz besonders, wenn
das Feuer von Zündlern ständig angefacht wird. Menschen sind auf der anderen Seite aber auch
empathiefähig. Sie sind offen für Freude, Mitgefühl, sind auch in der Lage, ihre Meinungen zu
korrigieren und auch dazu Vorurteile über Bord zu kippen. Auch das erlebe ich bei meiner
Kampagne. Daran sollten wir als Gesellschaft heute mehr anknüpfen.
„Empathie ist elementar für eine starke Demokratie.“
Das Herz ihrer Kampagne sind zwei Bühnenstücke, mit denen Sie schon seit einigen Jahren durch
Deutschland touren. Worum geht es genau?
Das eine ist ein Live-Hörspiel. Da arbeite ich mit der Autobiografie Solly Ganors,
einem jüdischen Jugendlichen im Dritten Reich, der die Gräuel der Shoa durchleben musste und
später beim so genannten Todesmarsch als einer der ganz Wenigen von GIs gerettet wurde. Auf
der Bühne schaffe ich es mit dem Stück auch in Gegenden mit starkem Antisemitismus, so viel
Empathie für den Protagonisten zu erzeugen, dass es den Leuten mit rechtem Gedankengut sehr
schwer fällt, ihre pauschalen Feindlichkeit aufrecht zu erhalten. Sie müssen Empathie empfinden
und legen oft den Wutpanzer ab.
Empathie ist also ein starker Hebel für eine starke Demokratie?
Empathie bedeutet, dass Menschen ihr Herz öffnen und auch mal solche
Stammtisch-Meinungen über Board werfen können. Selbst zu reflektieren und zu erkennen, dass
die Parolen, die man allzu leichtfertig in die Gegend gebrüllt hat, dann doch nicht so stimmen. Also
ja. Empathie ist elementar für eine starke Demokratie. Aber natürlich auch, dass man Kritik zuläßt,
auch wenn sie einem vielleicht gerade nicht so gefällt. Ich will weder hier noch bei meinen
Veranstaltungen irgend jemanden mundtot machen.
Und kommt das rüber?
Absolut. Aber es gibt auch immer die Anderen, die Unbelehrbaren, die Extremen, die
auch jetzt schon bereit zu Gewalt sind
Verbittert Sie das nicht?
Nein. Ich finde aber Menschen wie Solly sind gute Vorbilder für unsere Gesellschaft.
Ich habe ihn selbst kennengelernt, und war begeistert. Obwohl er diese Gräuel durchleben musste,
war er durch und durch ein Mensch der Versöhnung, nicht des Hasses. Solly hat einmal gesagt:
Der einzige Weg für eine Zukunft ist die Versöhnung und das Miteinander. Das finde ich
inspirierend.
Foto: Thomas Darchinger/formation d 451
Mit ihrem zweiten Stück „Paradies auf Erden“ gehen Sie gegen rechte Hetzer vor
Ja, der Plot handelt von zwei jungen Demagogen, die sich in das Herz und die Köpfe
einschleichen, um dann extremistisches Meinungsgut unterzubringen und mit der Unterstützung
der aufgehetzten Massen die Demokratie auszuhebeln. Durch meine Figur werden diese ganzen
Methoden entschlüsselt und entlarvt. Paradies auf Erden beschäftigt sich dabei sehr zeitgenössig
damit, wie Mechanismen der Einflussnahme heute funktionieren. Es geht darum, wie die
antidemokratische Szene in die Köpfe der Leute kommen will und auch kommt, wie sie die Köpfe
manipulieren. Das passiert beim Theaterstück ganz unmittelbar. Die Zuschauer werden manipuliert
und kriegen es im Laufe des Stücks eben mit. Das schockiert sie natürlich, wenn sie merken, wie
einfach es ist, geschickten Demagogen auf den Leim zu gehen. Ich würde mal sagen, die Leute
gehen gut unterhalten ein ganzes Stück schlauer nach Hause.
Gefährliche Verkürzungen, Scheinzusammenhänge, Populismus begegnen einem aber auch in
anderen Bereichen unseres Lebens.
Ja, die Klima-Debatte ist ähnlich aufgeladen, finde ich. Dabei ist die Sache faktisch
gesehen ganz einfach: Wir haben seit Jahrzehnten und damit viel zu lange auf Kosten des
Planeten gewirtschaftet. Und wir haben die Warnungen der Klimaforsche:innen nicht ernst
genommen. Ebenfalls viel zu lange. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir dringend handeln und
die Weichen unseres Lebens, unseres Konsums ganz anders stellen müssen
Wie sollte das Ihrer Meinung nach gehen?
Die Öko-Bewegung hat immer geglaubt, dass es reicht, Menschen wissenschaftliche
Erkenntnisse in den Kopf zu bringen, ihnen zu sagen, dass es da ein gewaltiges Problem gibt.
Jetzt merkt man, dass die Leute es zwar inzwischen alle verstanden haben oder es zumindest
wissen, Aber überraschenderweise nichts Grundlegendes ändern, stattdessen panisch aggressiv
oder lethargisch reagieren. Viele sagen: Wenn die Welt untergeht, bin ich aber einer von denen,
der noch auf die Malediven fliegt, bevor sie absaufen. Außerdem kann ich ja allein eh nichts
ändern… die üblichen Alibis also. Ein anderer schwerer Fehler war es, dass wir zu lange von
Politik und Wissenschaft gesagt bekommen haben, dass Klimarettung enorm viel mit Verzicht zu
tun hat.
Verzicht ist also falsch?
Verzicht ist kein positiv mobilisierendes Narrativ. Wir brauchen aber positive
Narrative. Die Zukunft, die nachhaltig ist, kann auch sexy sein. Wirkungsvolle Kreislaufwirtschaft
kann viel mehr Spaß machen, als platt nur auf Verzicht zu gehen. Ich finde, da seid ihr von
form.bar ein wirklich gutes Beispiel.
„Ein tolles Material, das einfach schweinegut aussieht.“
Danke. Wie meinen Sie das?
Ihr vermittelt Nachhaltigkeit über Ästhetik und Design. Die Möbel werden zudem von
Schreiner:innen in der Region der Kund:innen produziert. Nicht wie irgend so ein Schrottmöbel
vom Billig-Möbelmarkt, dass nur noch so tut als wäre es aus Holz und das Vogelwild mit
irgendwelchen Giftstoffen produziert wurde.
Das klingt schön, aber auch hart.
Ja, stimmt. Aber es ist korrekt. Wer bei euch ein Möbel kauft, zahlt natürlich mehr als
in einer Möbelhaus-Kette. Dafür sind eure Möbel emotional so stark und qualitativ so hochwertig,
dass Kund:innen in ihrem Leben einfach weniger Möbel kaufen werden, weil sie sie länger,
vielleicht ein Leben lang behalten werden.
Und dann geht auch die Verzicht-Rechnung locker auf.
Ich kaufe mir wirklich lieber etwas, was schön ist, was etwas aushält und - das finde
ich wirklich das Beste an eurem Konzept - es wird immer von professionellen Handwerker:innen
aus der Region der Kund:innen gefertigt. Dann weiß ich sogar, wer es gemacht hat. Rede mit den
Schreiner:innen noch. Habe ein Gesicht dazu, eine Stimme. Man erlebt also noch etwas Schönes,
wenn man mit und durch euch nachhaltig handelt. Und dann vermittelt Nachhaltigkeit sofort etwas
Attraktives und nicht diese tröge Aura verordneten Verzichts.
Welches Möbel haben Sie haben bei uns eigentlich gekauft?
Das ist ein weißes Regal, etwa ein Meter breit und zwei Meter hoch. Es besteht aus
quadratischen Fächern und vier Türen. Allein schon wie das hier ankam, wie einfach das
aufzubauen war. Es war super produziert, handwerklich gut gearbeitet. Ein tolles Material, das
sich sofort gut angefühlt hat und einfach schweinegut aussieht, es steht Zuhause in meinem Büro.
Ich freue ich mich jedes Mal, wenn ich an meinem form.bar-Möbel vorbeigehe. Ich denke mir
immer: Ah, das ist ein richtig schönes Teil, das sieht richtig gut aus. Und diese Freude, die mir das
vermittelt, die gehört ja zu meinem positiven Lebensgefühl dazu.
Bewusste Entscheidungen machen also glücklich.
Absolut. Ich sagte ja vorhin schon: Empathie ist wichtig. Menschen brauchen positive
Emotionen. Egal wann, wo und wie. Das hilft unserer Gemeinschaft sehr.
Das ist ein schönes Schlusswort.
Finde ich auch (lacht)