„Am Ende entsteht immer eine persönliche Geschichte. Das bleibt.“
RedDotAward, German Design Award, Interior Innovation Award und viele weitere Auszeichnungen hat Michael Hilgers in den vergangenen zehn Jahren erhalten. Im form.bar-Interview spricht der Berliner Produktdesigner darüber, warum ihm Styling eigentlch nicht interessiert, gute Produkte immer pragmatisch, praktisch, gut sein müssen und Karrieren aus Blech gemacht werden.
Hallo lieber Michael Hilgers, beschreib dich mal bitte als Designer in wenigen Worten?
Sehr gerne. Also: Ich bin gelernter Tischler, habe dann Architektur studiert.
Nach diversen Einblicken in die Baubranche habe ich beschlossen: „Nein, das ist nichts für mich.“
Ich skalierte also lieber runter zu kleinmaßstäblicheren Dingen und da ist es wieder das Möbel geworden.
Also zurück zu den Anfängen. Da fühle ich mich seit vielen, vielen Jahren zu Hause.
Über die Jahre sind dabei schon ein paar Sachen entstanden, die wirklich beispielhaft für meine Design-Methodologie sind.
Welche sind das?
Eines der populärsten Möbel ist sicher der „Flatmate“-Sekretär, den ich für die Müller Möbelwerkstätten entworfen habe.
Ein ganz flacher Sekretär, unglaublich praktisch. Er feiert jetzt seinen 10-Jährigen Geburtstag am Markt und ist ein Beleg dafür, wie die Möbelbranche ticken kann.
Was meinst du damit?
2010 habe ich den Sekretär auf einer großen Möbelmesse präsentiert und es hat sich niemand dafür interessiert.
2011 erneut und wieder nichts. 2012 kam dann das iPad raus. Und ich habe für den Sekretär ein Blech abgekantet und das iPad reingestellt und
plötzlich hatte ich Menschentrauben um dieses Möbel herum. Das war schon verrückt.
3 mal das gleiche Setting, 3 mal das identische Möbel-, und dann war es plötzlich ein Match.
Es passte auf einmal in die Zeit. Quasi der Sekretär zum flachen Endgerät. Und irgendwann kam die Pandemie.
Davor hatte ja kaum jemand ernsthaft über Homeoffice gesprochen. Und hetzt ist das Möbel eine „Ikone“ als Home-Office Microliving-irgendwas-dazwischen-Produkt.
Du bist also ein Trendsetter…
…ich sehe mich nicht so. Aber manchmal musst du als Designer eine Nische aufbohren und dranbleiben.
Und plötzlich entwickelt sich eine eigene Produktkategorie aus deiner Idee. Mittlerweile gibt es unglaublich viele Nachahmungen des flatmate.
„Wenn es funktioniert, ist es wahr“
Wie ist dein Design-Stil?
Ich habe für mich die pragmatic design® Entwurfsmethodik entwickelt. Der Pragmatismus ist einer amerikanischen Denkrichtung des 19.
Jahrhunderts und ist im Grunde die erste US-amerikanische ureigene Philosophie. Die Logik dahinter: Wenn es funktioniert, ist es wahr.
Ich orientiere mich dabei nur bedingt an bereits erhältlichen typischen Produkten sondern gehe unvoreingenommen an die Entwurfsaufgabe heran:
Es geht mehr darum, kreative Lösungen zu finden, die an einem bestimmten Ort, einem bestimmten Raumszenario perfekt für den Nutzer funktionieren.
Wie gehst du also ein neues Produkt an? Kannst du dafür mal ein Beispiel geben?
Die Denkweise ist eigentlich simpel. Wenn jetzt beispielsweise form.bar zu mir sagen würde:
„Michael, mach mal einen Schreibtisch fürs Homeoffice“ hätte ich automatisch ein Bild von einem bestimmten Möbeltyp vor Augen.
Wie ein rosa Elefant, an den man nicht denken soll. Ist die Aufgabenstellung jedoch:
„Mach bitte einen Arbeitsplatz, der nicht viel Platz benötigt und der nach getaner Arbeit verschwindet“
kann ich als Designer frei und unvoreingenommen nach den besten Lösungen suchen. Ein Arbeitsplatz ist eben nicht einfach nur ein Schreibtisch.
Es kann einer sein. Es kann aber auch etwas anders sein. Lass mich das mal an dem Duodesk festmachen, den ich für euch jetzt entworfen habe.
Sehr gerne.
Der Duodesk ist ein Arbeitsplatz, den es meines Wissens so noch nicht auf dem Markt gibt - denn er vereint zwei Arbeitsplätze unterschiedlicher Höhen,
die Kunden mit einer bei form.bar-Möbeln noch nie eingesetzten Klappen aktivieren können. Das Möbel ist für einen begrenzten Raum, für eine Person,
die mal stehen oder sitzen möchte. Vielleicht für zwei Personen. Es entwickeln sich je nach Kontext ganz plötzlich immer neue Lösungen,
weil man als Nutzer nicht denkt: „Ja, ist ein Schreibtisch!“ Zudem war die Vorgabe,
mit Forescolor-Platten zu arbeiten und das Möbel mit dem form.bar-Konfigurator zu entwickeln.
Ich verwende also die vorgegebenen Parameter und Rahmenbedingungen und entwickle etwas neues daraus.
Und denke eben nicht in generischen Kategorien. Das ist der Trick an der Sache.
„Es hat auf einmal total gepasst, das Match von form.bar und mir.“
Bei dir klingt Design eher nach Erfindung.
Stimmt, das Erfinderische spielt eine große Rolle. Bei mir geht es nicht um Trends und Styling. Das interessiert mich überhaupt nicht.
Klar, Oberflächen und Farben sind wichtig. Das Spannende bei unserer Kooperation war für mich, dass die Entwurfsansätze erstmal komplett frei sein konnten.
Aber es gab Beschränkungen.
Ja, als Niko (Feth, einer der beiden Gründer von form.bar Anm. d. Red.) meinte,
die Produkte sollen mit dem form.bar-Konfigurator entstehen, dachte ich erstmal ganz Designer-like:
„Och nö, ich will jetzt nicht mit so ‘nem Konfigurator Regler herumschieben.
Ich fange doch immer mit nem weißen Blatt Papier an, um total unvoreingenommen an eine Sache heranzugehen.
Jetzt ist genau umgekehrt.“ Dann habe ich mich aber erstmal intensiver mit der Konfigurator-Logik vertraut gemacht und gemerkt, was da alles möglich ist.
Es hat auf einmal total gepasst, das Match von form.bar und mir.
Beschreib mal deine Gedanken beim Konfigurator-Design.
Die Design-Regeln des Konfigurators fand ich total spannend. Er gibt dir einen Rahmen vor, in dem du trotzdem spannende Produkte kreieren kannst.
Ich habe zu meinen Designs schon in den ersten Tagen unglaublich viel Feedback bekommen.
Die Leute finden es spannend, wie die unterschiedlichen Welten verheiratet wurden.
Und der Konfigurator hilft jedem, die notwendigen Gesetzmäßigkeiten des Möbelbaus einzuhalten, was Dimensionen, Spannweiten, usw. angeht.
Jeder kann sich voll entfalten und völlig Neues schaffen. Man merkt, dass sich bei der Plattform Experten viele Gedanken gemacht haben.
Ich fand es auch deshalb ziemlich cool, das Ding zu überlisten.
Wie das?
Du kannst in der Grundeinstellung beispielsweise erstmal nur Fächer in einer bestimmten Größe machen.
Ich habe das so gelöst, dass ich ganz viele Mittelseiten eingezogen habe.
Dann konnte ich größere Arbeitsflächen formen und die Mittelseiten danach einfach wieder löschen.
Der Konfigurator war damit einverstanden. Wir haben es gebaut, es funktioniert. Das ist ja die Logik.
Was am Ende aus dem Konfigurator herausfällt, ist immer baubar. Darauf kann man sich verlassen.
Für welche Produkte hast du dich jetzt für form.bar entschieden?
Man sucht natürlich schon große Themen, um da natürlich in einer Nische eine neue Nische aufzumachen.
Stichwort: Multifunktionalität. Der Duodesk ist ein Beispiel dafür. Oder das Hybridmöbel.
Es ist ein sehr kompaktes Möbel, bei dem du eine kleine Arbeitsfläche hast, aber auch einen kompakten Kleiderschrank.
Das heißt: Du kannst es super mit Micro-Living verschlagworten. Es ist ja für ein Einraum-Appartement oder Minimalismus-Menschen gedacht.
Auf weniger als 1m2 Fläche bildest du ab: Stauraum, Showcase, kleiner Kleiderschrank, kleiner Arbeitsplatz.
Es passiert auf kleinster Fläche also eine ganze Menge.
Und durch den eleganten Schwung des form.bar-Konfigurators bewirkst du, dass es sich total harmonisch in den bestehenden Raum eingliedert.
„Editier.bar, skalier.bar, wandel.bar und spiegel.bar“
Es passt auch komplett in unsere Formensprache.
Die Möbel machen sich diese total zu eigen.
Und das tolle ist, dass der form.bar Kunde meine Designs an seine Bedürfnisse anpassen kann - denn sie sind auch editierbar, skalierbar, wandelbar und spiegelbar.
Das finde ich als Designer total spannend. Das bietet so kein anderer Hersteller.
Michael, du bist ja in unserer neuen Produktreihe, der erste Designer, mit dem wir eine Kollaboration eingehen. Warum hast du mitgemacht?
Es ist ein bisschen historisch bedingt. Wir haben uns vor zehn Jahren auf einer Messe kennengelernt.
Wir waren Standnachbarn mit diesen ganz kleinen subventionierten 3-auf-3- Meter-Ständen für alle Newcomer.
Ihr wart ja ganz früh dabei mit euer Art Möbel zu gestalten. Ich habe eure Entwicklung dann einfach weiterverfolgt.
Beispielsweise über Social Media. Außerdem arbeite ich ebenfalls mit vielen Schreinereien in Deutschland zusammen.
Und dort fällt auch immer wieder der Name form.bar. Irgendwann habe ich dann gemerkt: Ja, wir sollten mal was zusammen aufziehen.
Der eigentliche Trigger war der Ukraine-Krieg und der daraus resultierende Ressourcen-Mangel. Multiplex-Birke ist kaum lieferbar.
Das Material ist teilweise sogar ausverkauft. Es kommt oft aus Russland und der Ukraine.
Ich seid zu der Zeit auf der Suche nach neuen Materialien gewesen und da hat sich die Schnittstelle zu Forescolor ergeben.
Ich arbeite mit diesen Faserplatten bereits seit mehreren Jahren und mit Keilverbinder sowieso.
Eins kam zum anderen. Und hier sind wir jetzt…
Wie siehst du form.bar?
Ich finde euch spannend. Ihr seid ein Startup, das Saarbrücken als Homebase hat. Ihr seid aber auch
ein Online-Business, das global funktioniert. Ich kann als Kunde alles individuell konfigurieren, auf meine
Bedürfnisse, mit eurem einzigartigen Ansatz des organischen Formens von Möbeln. Das ist schon was ganz
Besonderes. Was aber das für mich Herausragendste ist, ist, dass das individuelle Produkt stets mit lokalen
Partnern gefertigt wird. Der Kunde lernt diese persönlich kennen. Und davon profitieren die
Handwerksbetriebe. Sie bekommen häufig Folgeaufträge, entweder mit form.bar-Möbeln oder eigenen
Produkten. Ihr belebt das Tischlerhandwerk dadurch enorm. Ihr seid quasi das Missing-Link. Es menschelt
mit form.bar. Das hat überhaupt nichts mit Jubel-Jubel-Schwungform zu tun. Es ist auch keine ‚Boah, was für ein
unglaubliches Design‘-Startup-Attitüde. Es ist auch am Ende nicht die innovative Technologie entscheidend,
die form.bar sicher einzigartig macht. Am Ende klopfen Leute an die Tür, bringen dir dein Regal. Oder die
Kunden holen es direkt beim Schreiner ab. Es entsteht immer Kommunikation. Es entsteht immer eine
persönliche Geschichte. Das bleibt.
Das nennen wir das form.bar-Prinzip.
Und das mag ich total gern: das Personalisieren von Handwerk über eine innovative Plattform. Das
ist am Ende wirklich nachhaltig. Nachhaltigkeit hat neben der Materialauswahl nämlich sehr viel mit
Langlebigkeit zu tun und der Identifikation mit einem Produkt. Wenn ich das Regal selbst gestaltet habe und
der Schreiner um die Ecke es produziert hat, dann habe ich als Kunde eine Beziehung dazu. Ich schreibe
quasi ein Buch. Das Buch heißt Regal. Es ist mein Regal. Ich habe entschieden, wo der Schwung hinkommt,
wo die Tischplatte. Ich baue eine Beziehung zu meinem Möbel auf. Deshalb ist es wertig. Deshalb habe ich es
nicht nur zwei Jahre. Dann kommt das Ganze auf den Sperrmüll und ich kauf mir einfach was Neues. Nein,
ich mache es für mich, damit ich lange etwas davon habe.