„Wo Sport ist, ist Astrid Kumbernuss“
In der Geschichte der Leichtathletik gehört sie zu den ganz Großen: Astrid Kumbernuss ist Rekord-Goldmedaillen-Gewinnerin bei Weltmeisterschaften im Kugelstoßen. Was das mit Disziplin zu tun hat, gibt sie heute an den Nachwuchs weiter - zum Beispiel in ihrem Heimatverein in Neubrandenburg. Wie ihr Leben heute aussieht, an welche Höhe- und Tiefpunkte ihrer Karriere sie sich besonders erinnert und wie form.bar ein Teil davon wurde, erzählt sie im Interview mit unserem Magazin.
Frau Kumbernuss, früher sind Sie von Wettkampf zu Wettkampf um die Welt gejettet. Immer auf
der Jagd nach Gold. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Ich lebe in einem schönen Haus im wunderschönen Neustrelitz. Eine beschauliche
Kleinstadt mit 22000 Einwohnern, weit genug weg vom Berliner Trubel. Hier gibt es viel Natur, viel
Wasser. Hier lebe ich glücklich mit meinem zweiten Mann und unserer zwölfjährigen Tochter
Hannah und Frodo.
Das klingt nach einem kompletten Kontrastprogramm zu früher.
Absolut. Hinterm Haus hörst du mal die Kühe, mal kräht irgendwo ein Hahn, in der
Ferne grasen Alpakas und du hörst immer wieder mal in der Ferne die kleine Kirche läuten. Die
Kinder können hier frei herumlaufen, der Hund spielt im großen Garten. Es gibt einfach viel Platz
und du musst dir als Eltern keine Sorgen machen. Das ist eine ganz andere Lebensqualität als
früher. Ich möchte nicht mehr tauschen. Obwohl ich das Sportlerleben wirklich geliebt habe.
Haben Sie immer noch mit Sport zu tun?
Und wie! Wo Sport ist, da ist Astrid Kumbernuss. Das war schon immer so und das
wird auch immer so bleiben. Bis vor einem Jahr habe ich auch noch Athleten trainiert. Jetzt bin ich
eine von zwei Geschäftsführerinnen in meinem Heimatverein Neubrandenburg. Dort bin ich seit
1982 Mitglied und damit die treueste Seele, die es überhaupt gibt. Ich kümmere mich im Verein
um das ganze Sponsoring, die Belange der Athleten, die Verträge, die Veranstaltungen. Und ich
mache noch ganz viel im Ehrenamt. Der Sport ist immer noch das, was mein Leben bestimmt, und
deshalb bekomme ich gefühlte 20 Mal am Tag Anrufe: Astrid, kannst du hier, kannst du da! Nur: Im
Gegensatz zu früher kann ich mir heute meine Zeit frei einteilen und Auszeiten nehmen.
Was geben Sie jungen Talenten mit auf den Weg?
In erster Linie natürlich Spaß am Leistungssport, auch wenn das jetzt so einfach
klingt. Aber glauben Sie mir: Mir wurde nie etwas geschenkt. Kein Geld, gar nichts. Wenn man es
an die Spitze schaffen will, muss man sich quälen können, und es nicht als Qual sehen, sondern
toll finden. Ich habe gerne hart trainiert. Denn ich wusste: Wenn ich hart trainiere, im Kopf
fokussiert bleibe und dann noch das Adrenalin im Wettkampf dazukommt, dann kann ich auch
meine Leistung auf den Punkt genau abrufen.
„Talent allein reicht nicht“
Im Profisport geht es also vor allem um Selbstdisziplin?
Ganz klar. Und sicher auch um viel Talent. Aber Talent allein reicht nicht. Das haben
viele. Es ist wirklich der Wille, sich durchzubeißen. Das Gefühl ist bis heute in mir drin. Wenn ich
im Verein eine Veranstaltung plane, dann möchte ich auch, dass sie nicht nur gut wird, sondern
dass sie sehr gut wird. Mit Platz zwei oder drei kann ich bis heute nicht zufrieden sein. Egal wann.
So habe ich früher trainiert. Ich habe ich so lange geackert, bis alle Details stimmten. Und dann
weiter trainiert. 6000 bis 8000 Stöße und mehr in einem Jahr waren normal. Und die musste ich
nicht einfach so machen, sondern jeden einzelnen in einer herausragenden technischen Qualität.
Das war mein Anspruch. Deshalb habe ich auch immer an der Athletik gearbeitet. Es reicht nicht
nur Kraft. Kugelstoßen ist viel mehr. Es geht um einen perfekten, harmonischen Bewegungsablauf.
Wurde Sie deshalb auch die „Ästhetin des Kugelstoßens“ genannt.
Ja, auch. Ich habe die Bewegungen bis ins kleinste Detail einstudiert, so extrem,
dass sie heute beim Training des Kugelstoßnachwuchses sogar mit Fotostudien meiner
Drehbewegungen arbeiten. Verrückt, oder?
Ja, im positiven Sinne. Aber hatten Sie schon immer das nötige Selbstvertrauen?
Nein, auch das musste ich mir hart erarbeiten. Ich habe noch die Bilder vor Augen ,
wie ich als kleine, schüchterne 13-Jährige im Ring stand und vor Angst erstarrte. Ich habe natürlich
niemanden angeschaut und nur gehofft, dass alles irgendwie gut geht. Es gab Wettkämpfe, da
hatte ich einen totalen Blackout. Können Sie sich das vorstellen? Ich stand im Ring und wusste
überhaupt nicht, was ich tun sollte. Alles war weg. Zack, einfach weg. Das war grausam! Und da
war oft noch die eigene Familie im Stadion. Ich hätte mich eingraben können. Ich habe damals
auch einmal mein Geld vom Manager nicht abgeholt, weil ich mich so geschämt habe für einen
Wettkampf, den ich angeboten hatte.
Tiefpunkte gehören also zum Leben einer Profisportlerin dazu.
Unglaublich viele Tiefpunkte gehören dazu! 1992 habe ich mir beim ersten
Nominierungswettkampf für Olympia das Kreuzband gerissen. Die Spiele habe ich mir dann in der
Reha angekuckt, allein im Zimmer. Damals dachte ich: Toll, das war's jetzt schon für dich. Ein
emotionaler Tiefpunkt waren sicherlich auch die Olympischen Spiele 2004. Ich war
Olympiasiegerin, mehrfache Weltmeisterin und wollte es allen nochmal zeigen, hatte dafür
ultrahart trainiert. Ich wollte es nochmal allen zeigen. Und habe den Wettkampf total vergeigt! Vor
Tausenden von Zuschauern in diesem wunderschönen antiken Olympia! Weil ich mir total selbst im
Weg stand! Danach habe ich mich so geschämt, dass ich erstmal zwei Tage mein Zimmer nicht
verlassen habe. Das war Hardcore. Schlimmer als jede Verletzung.
Es gab aber in Ihrer Karriere auch viele schöne Momente. Gab es einen ganz besonderen?
Sevilla 1999!
Wieso die Weltmeisterschaft in Sevilla?
Es war WM! Es war die WM ein Jahr nach der Geburt meines Sohnes Philip. Und
ich laborierte noch an den Folgen eines erneuten Kreuzbandrisses. Also ein doppeltes Brett vor
der Brust. Da habe ich mir gesagt: Astrid, du bist zweimal Weltmeisterin, du bist Olympiasiegerin.
Mit diesen Voraussetzungen den Titel zu gewinnen, ist theoretisch nicht machbar. Die Konkurrenz
lag ja nicht zu Hause auf der Couch und hat auf mich gewartet. Aber ich konnte als erste
Kugelstoßerin, drei Mal in Folge den WM-Titel gewinnen. Das war eine historische Chance. Also
haben wir im Team gesagt: Okay, starten wir die Mission. Und dann habe ich elf Monate lang wie
verrückt trainiert.
Und dann?
… dann hatte ich im Wettkampf natürlich nicht die Form für 21 Meter. Das ging
nicht nach knapp einem Jahr Training. Die Qualifikation war am frühen morgen. Nicht die beste
Zeit für Top-Leistungen. Also bin ich den Heldentod gestorben und habe gerade noch die
Qualifikationsweite geschafft. Dann habe ich einmal vor Wut geheult, bin mit dem Fuß
aufgestampft. Und am Nachmittag habe ich dann gesagt. Okay, Attacke! Wir schauen jetzt mal,
was passiert, und ich muss jetzt in der Arena die Astrid Kumbernuss von früher ausstrahlen. Voller
Selbstbewusstsein. Und so bin ich im Finale in den Ring gegangen, habe mich von Versuch zu
Versuch gesteigert und bin mit 19,85 Metern tatsächlich Weltmeisterin geworden. Klar, das ist jetzt
keine Wahnsinnsweite. Aber das war mir völlig egal. Wissen Sie: Hinterher fragt kaum jemand, wie
weit du gestoßen hast. Am Ende zählt nur der Titel.
Das klingt toll.
Das war toll. Olympia-Gold in Atlanta war überhaupt nichts dagegen.
„Da reihte sich Interview, an Interview, an Interview, an Interview“
Was?
Das klingt jetzt komisch, aber Atlanta war ein reiner Arbeitssieg. Auch von den
Emotionen her. Im Vorfeld hieß es: Die Kumbernuss fährt da hin. Die Kumbernuss muss Gold
holen. Alles andere wird nicht akzeptiert. Die Kumbernuss hat Gold geholt. Alles klar. Aber nicht in
Sevilla. Da konnte ich es allen beweisen. Schön…
Haben Sie noch von der Siegerehrung die Bilder vor Augen?
Ehrlich?
Unbedingt!
In dem Moment hatte ich eigentlich gar nichts Greifbares im Kopf. Auf dem
Siegertreppchen fiel mir eine Riesenlast ab. Das ist das Konkreteste. Und natürlich war es schön
die Nationalhymne zu hören, die extra für mich gespielt wurde. Aber davor war es einfach nur
Stress. Nach dem Sieg ging es direkt in die Mixed Zone. Da reihte sich Interview, an Interview, an
Interview, an Interview. Ich kam nicht zum Schlafen, wurde von A nach B geschleppt. Ich wusste
nicht wohin mit meinen Emotionen, weil unser Sohn nicht da, Familie und Freunde waren zu
Hause. Und ich wollte nur zu Ihnen. Sie umarmen. Aber das ging nicht. Der Jubel kam dann zu
Hause. Da habe ich dann langsam realisiert, was das Team und ich geschafft haben. Wahnsinn.
Wir hatten Geschichte geschrieben.
Ich hatte mir das eher so vorgestellt, dass Sie wie einst Franz Beckenbauer nach dem WM-Titel
1990 im Blitzlichtgewitter durchs Stadion geschritten sind und Ihre Karriere Revue passieren
ließen.
Nein (lacht). Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Ehrenrunde gedreht.
Das finde ich aus heutiger Sicht wirklich schade. Wenn ich noch einmal könnte, würde ich das
machen. Aber das war damals nur den Sprinter und Läufern vorbehalten, also die Superstars bei
Olympia und WM.
Aber Sie waren ja ein Superstar und werden bestimmt auch heute noch auf der Straße erkannt. Oder?
Zumindest sollte ich nicht irgendwo gegen eine Parkuhr treten. Das wäre dumm (lacht).
Die Schlagzeile wäre Ihnen sicher.
Ich bin wirklich immer wieder erstaunt, wie viele Leute mich tatsächlich noch
kennen und sich freuen, mich zu sehen. Ich kann Menschen durch meine bloße Anwesenheit
glücklich machen. Das ist so toll. Und es gibt auch immer noch Autogrammpost. In solchen
Momenten merke ich, dass ich wahrscheinlich in meinem Leben etwas richtig gemacht habe.
Dafür bin ich sehr dankbar.
Das klingt gut - und das ist ein gutes Stichwort für ein letztes Thema. Wir sind dankbar, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?
Der Anstoß kam von unserer Tochter. Sie meinte, sie brauche jetzt ein anderes
Zimmer, das einem Teenager angemessen ist. Sie wollte kein Kinderzimmer mehr. Dann begann
das Drama. Wir waren in einigen Möbelhäuser und haben einfach nichts Passendes gefunden. Ich
suchte etwas Schönes, das übersichtlich war, aber eben nicht so steif und langweilig. Irgendwann
bin ich im Internet auf euch gestoßen und habe gedacht: Wow, was sind das für tolle Möbel. Diese
geschwungene Form. Und allein schon die Idee dahinter, das Arbeiten mit den Schreinern in der
Region. Wahnsinn.
Erzählen Sie einfach weiter …
Was soll ich sagen: Mein Kopf fing direkt an zu rattern. Ich habe unsere Tochter zu
mir gerufen und zeigte ihr, was sie mit dem Design alles machen kann. „Schau, da hast du etwas
Schönes, das du auch noch hast, wenn du 22 bist oder 32. Das ist etwas, das mit dir umziehen
kann, das du immer erweitern kannst. Und wenn du es nicht mitnehmen willst, lässt du es hier.
Dann bin ich nicht traurig, sondern finde einen schönen Platz im Haus für das Möbel. Unsere
Reise mit form.bar endet nicht mit einem Möbelstück.
Darüber freuen wir uns natürlich auch sehr.
Ich finde, das habt ihr euch verdient. Man merkt, dass ihr viel Herzblut
hineinsteckt. Ich habe mich vom ersten Moment an wohl und wertgeschätzt gefühlt. Egal wann:
Auf der Webseite. Beim Designen. Bei Rückfragen per Mail. Am Telefon. Ihr strahlt immer eine
Herzlichkeit aus. Ich habe auch schon vielen Freunden euren Link geschickt. Ich sage dann
immer: Klar, das kostet natürlich ein bisschen mehr als ein Serienprodukt aus dem Möbelhaus,
aber dafür habt einfach total den Hingucker. Und ihr könnt es so machen, wie ihr wollt. Ihr habt in
mir einen echten Fan.
Auch dafür sind wir sehr dankbar, Frau Kumbernuss. Und auch dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.
Sehr gerne.