„Mir ist ein schönes Stück Holz viel sympathischer als das ganze Plastikzeug“
„Ich glaube, wir brauchen wieder wertige Dinge und wertige Maßstäbe für unsere Gesellschaft“, sagt der Weltklasse-Musiker Bernhard Leonardy. Der Konzertorganist, Intendant der Musikfestspiele Saar und Basilikakantor an der Saarbrücker Basilika St. Johann spricht im form.bar-Interview über den Schlüssel zu einem erfüllten Leben, seine große Liebe und die Kraft der Musik.
„Man muss eine eigene Handschrift entwickeln“
Herr Leonardy, Sie sind einer der besten Organisten des Planeten. Wie haben Sie das geschafft, wie haben sie
geschafft, das Leben nach Ihren Wünschen zu formen?
Das Leben ist formbar, aber es ist eine Lebensaufgabe, also man ist damit nie zu Ende. Ich glaube, nicht
stillstehen ist etwas ganz Wichtiges, was auch den Charakter und die Lebensfreude nach vorne bringt.
Ich könnte mir nicht vorstellen, in meinem Leben jeden Tag dasselbe zu machen.
Das wäre für mich kein Leben, ich müsste etwas anderes haben, was sich ständig weiterentwickelt. Dieser Gedanke
des sich Weiterentwickelnmüssens ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben.
Wie wird man weltklasse?
Wenn man sich für etwas entschieden hat und versucht das dann zu perfektionieren, und versucht in einer
Champions League zu spielen, dann geht es nur dadurch, dass man eine eigene Handschrift entwickelt.
Das heißt in der Musik, man muss zum Beispiel ein Werk von Johann Sebastian Bach nehmen und viel von sich
hineingeben.
Was motiviert Sie?
Es ist ein Glücksgefühl, wenn bei einem Konzert alles gut geht.
Wenn man glückliche Gesichter hat, dass es Menschen gibt, die gerührt von dannen gehen und sagen, so etwas
Schönes habe ich noch nie erlebt.
Das ist eine sehr schöne Rückmeldung. Lob ist eine schöne Motivation.
Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?
Rückschläge haben mich immer motiviert, etwas anderes zu machen. Man lernt aus Rückschlägen sehr viel, wenn das
auch in dem Moment nicht einfach ist.
An der Universität des Saarlandes zum Beispiel habe ich einst kommissarisch als Musikdirektor gearbeitet, die
Stelle bekam dann aber ein anderer. Da war ich sehr enttäuscht,
weil ich in das Amt sehr viel persönliche Energie, Arbeit und Zukunftsperspektive reingesteckt hatte. Heute weiß
ich, es hat alles etwas Gutes.
Ich hätte an der Uni vorwiegend mit Laien zusammengearbeitet, heute darf ich mit den ganz Großen der Welt
zusammenarbeiten.
„Man lernt aus Rückschlägen sehr viel“
Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für so etwas Außergewöhnliches wie die Orgel entdeckt?
Musik hat bei uns zuhause dazugehört wie das Kühemelken auf dem Bauernhof. Ich wollte aber lieber immer Fußball
spielen mit meinen Freunden, stundenlanges Üben war gar nicht so mein Ding.
Dann hieß es eines Morgens, du musst Klavier üben oder in die Kirche gehen.
Dann bin ich in die Kirche gegangen und habe dieses faszinierende Instrument Orgel gehört. Ich liebe sie bis
heute über alles.
Was bedeutet Ihnen Musik?
Wenn bei einem Stück die Tränen kullern, die Emotionen mit Händen zu greifen sind, das ist für mich Musik. Musik
muss immer mit einer ganz großen Wirkung zu tun haben.
Ich glaube, die Musik kann sehr schöne Brücken bauen zwischen den momentan auseinanderdriftenden Dingen
Industrie und Umwelt.
Die Musik ist eine große Kraft, sie kann zu Kreuzzügen aufrufen und zugleich den schönsten Friedensschluss
feiern.
Meiner Meinung nach lehrt klassische Musik auch Aufmerksamkeit, man wird nicht zugedröhnt, man muss genau
hinhören und unterschieden. Vielleicht lehrt das auch die Fake News von den richtigen News zu unterscheiden.
Das ist auch eine Bildungsaufgabe der klassischen Musik.
Hätten Sie einen Rat an Ihr 20-jähriges Ich?
Ich würde versuchen, sehr viel schneller professioneller zu werden. Bei der Organisation von Konzerten und, und,
und.
Ich habe zu lange als Einzelkämpfer agiert. Networking und das Zusammenarbeiten mit Menschen, das habe ich
früher mehr als Bedrohung des eigenen Ichs gesehen denn als Bereicherung.